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Der Amsterdamer Bildhauer Geer Steyn kann als einziger Niederländer eine Lehrzeit bei Wotruba vorweisen. Deutlich jünger als die Generation um Zweerus und Guntenaar hat er vier Jahre bei Prof. Esser studiert. Nachdem er den Prix de Rome, ein damals wie heute begehrtes Stipendium, gewonnen hatte, stieß er bei der Wahl seines Lehrmeisters Wotruba nur auf positive Reaktionen seitens der Professoren in der Rijksakademie voor Beeldende Kunsten. Ab Herbst 1973 war er für ein Jahr Schüler bei Wotruba an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Die Faszination für Stein ist ihm ebenso wie eine emotionale Beziehung zu Wien geblieben. Steyn hat Wotruba damals in seinem Atelier, der Bildhauerschule in der Böcklinstraße photographiert. Die eindrucksvollen Bilder zeigen ihn nicht nur in der bekannten typischen Pose des steinbearbeitenden Bildhauers, sondern zeichnen auch ein Portrait des Menschen Wotruba. Auf dem Foto mit der Skulptur "Gehender" hat Wotruba dieselbe blockhafte Gestalt. Der Künstler erscheint als Paradigma des Schrittes aus der Wildnis in die Zivilisation (siehe Abb. 43-45).
Ein Jahr nach Steyns Rückkehr nach Holland starb der Meister an einem Herzanfall. Steyn suchte wie Wotruba nach der Frage, was die menschliche Form ausmache. Er fand sie im Fragment, das durch den Zusammenschluß mit anderen Formen eine neue Erkenntnis liefern kann. Die Skulpturen in seinem Atelier im alten Süden der Stadt Amsterdam geben Zeugnis dieser Suche ab. Abb.
57: G. Steyn, Torso, 1993 Dort findet man das Fragment eines Körpers im abstrakten Torso wieder. Eine weitere knieende Figur mit erhobenen Armen, die ihn nach seiner Aussage an einen amerikanischen Rollschuhläufer erinnere, ist formal abstrakter und kantiger als sein Torso. Sie steht für das Fragment einer Bewegung an sich. Der Künstler war 1980 zu einer Reise in die USA aufgebrochen und besuchte damals auch New York. Kurz nach seiner Rückkehr arbeitete er an einem Tänzerpaar mit ähnlich reduktionistischer Intention.
Abb. 58:
G. Steyn, Figur mit erhobenen Armen (Rollschuhläufer), 1975 Abb. 59:
G. Steyn, Tanzendes Paar, 1981 Abb. 60:
G. Steyn in seinem Atelier, 2005
Abb. 61:
Steyn, Sigmund Freud - Medaille, 1993 Abb.
62: Steyn, Samuel Becket - Medaille, 1998 In seinen zahlreichen Medaillen kann man die Faszination für das Detail erkennen. Diese Penningkunst, die er in der Tradition seines Lehrers Esser seit Jahren ausführt, unterstreicht ein Hauptmotiv in seinem Werk. Es handelt sich hierbei um den Versuch mit einem kleinen Fragment etwas Großes ausdrücken. Medaillen mit Menschenportraits und Tierdarstellungen füllen die Laden seiner Ordner. Unter den frühen deutlich realistischeren Darstellungen findet sich auch ein Portrait Wotrubas auf einer Medaille wieder. Der Künstler hat es damals während seines Stipendiumaufenthaltes in Wien gemacht. Mit der besonderen Technik, den Daumen und die Finger direkt in die weiche Form zu drücken, können so fragmentarische Meisterwerke entstehen, deren besonderer Reiz in der Schärfung des Blickes für das Wesentliche liegt. Man muß sich sehr genau konzentrieren um aus den Erhebungen und Tiefen Formen zu erkennen. Hat man nun das Essentielle erfaßt, fügt sich folglich das restliche Bild wie von selbst hinzu. Steyn hat in den letzten Jahren etliche Steinskulpturen geschaffen, von denen viele in seinem Atelier auf Sockeln aufgestellt sind. Seine Portraits stehen in Bezug zu einer individuellen Person. Das für ihn Wichtige ist zu einem Fragment abstrahiert. Er arbeitete gerade an einem abstrakten Doppelkopf, der zwei Spielgefährten darstellen soll, die sich aneinander lehnen. Dieser Moment des Anlehnens wird im Stein eindrucksvoll festgehalten, wie schon zuvor bei der Figur des Geschichtenerzählers (De Verteller).
Abb. 63-66: 'Verteller' 1988
- 2004 De Verteller ist eine Figur, an der er in zahlreichen Variationen nach dem Eigentlichen sucht. Der erste Verteller von 1988 war ein halbfiguriges Portrait einer Person mit verschränkten Armen. Daraus entwickelte sich eine Serie von desem Thema eines aufgestützten Erzählers. Einmal dominierte der Oberkörper, dann wieder der Kopf und die Arme. Letztendlich gelangte der Künstler zu einer architektonischen Lösung, die noch stets die Position und die Proportionen derselben Figur erkennen ließen. 1998 wurde ein großer Verteller aus Granit im Nederlands Interuniversitair Kunsthistorisch Instituut in Florenz aufgestellt. Steyn selbst schreibt: "Door iets weg te laten onststaat dat wat weggelaten wordt, alleen op een totaal andere manier. Het fragment bepaalt een nieuw geheel. In de serie "de verteller" staat een beeld ontleend aan de werkelijkheid aan het begin van een grote serie. Via een proces van weglaten ontstonden beelden die qua betekenis werden wat weggelaten is, nl. "hoofden". Hoofden die op zichzelf staan en geen directe relatie met de waarneembare werkelijkheid hebben. Iets is aanwezig door het niet letterlijk maken, maar door het te laten ontstaan. Deze gedachten liggen ten grondslag aan mijn werk. Het zijn beelden die een innerlijke architectuur tonen maar die zich nog niet in een "grote maat" tot de architectuur hebben verhouden, niet als een illustratieve maar als een intrinsieke gelijkenis met het gedachtegoed van Spinoza." Geer Steyn ist seit 1980 Professor für Bildhauerei an der Koninklijke Akademie voor Beeldende Kunsten in Den Haag. Er hat versucht seine Faszination für das Material Stein auch an seine Schüler weiterzugeben. Doch die Pluralität der Materialauswahl, die durch die Arte Povera der 1970-er Jahre noch verstärkt wahrgenommen wurde, hat den Jungen neue Möglichkeiten eröffnet. Sie bedienten sich einfach der Mulde für Werkstoffabfall, die im Hof der Akademie aufgestellt war. In den letzten Jahren allerdings wurden wieder vermehrt große und kleine Menschenfiguren gemacht. Das Spiel mit der Proportion und der damit verbundenen Wirkung ist also noch lange nicht zu Ende ausformuliert. Die für das Jahr 2005 erarbeitete Ausstellung - Grootmodel - zeigt Werke der Schüler Geer Steyns in der Akademie. Es sind große, sitzende menschliche Figuren, die aus Gips geformt wurden und in ihrem Inneren ein tragendes Gerüst aus Eisen besitzen. Ein Schüler hat, ohne Wotruba zu kennen, einen ähnlich blockhaften Stil gewählt den Körper darzustellen. Was den Professor freut ist, daß auch kleinere Figuren von den Studenten angefertigt worden sind. Wie es scheint hat das Spiel mit den Proportionen wieder Anklang gefunden. Die im Maßstab deutlich kleineren Figuren waren auf Regalbrettern ausgestellt und zeigten verschieden ausformulierte Lösungen der sitzenden Gestalt eines Menschen.
Abb. 69: Ausstellung 'Grootmodel'
/ KABK 2005 |
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